In einer verborgenen Ecke der Welt, inmitten eines undurchdringlichen Waldes, stand der höchste aller Bäume. Auf seinem Gipfel, inmitten des grünen Blätterdachs, befand sich ein bescheidenes Baumhaus. In diesem Baumhaus lebte Johanna, eine Frau von atemberaubender Schönheit. Ihre eisblauen Augen funkelten vor Leben und ihr goldbraunes Haar glänzte im Licht der Morgensonne. Sie war eine Königin, die eine Krone aus goldenen Blättern und Smaragden trug, aber ihr Königreich war nicht aus Stein und Metall, sondern aus Holz und Blättern.
Johanna besaß eine bemerkenswerte Fähigkeit – sie konnte mit den Tieren und Pflanzen ihres Waldes kommunizieren. Sie flüsterte mit den Bäumen, unterhielt sich mit den Vögeln und lauschte den Geschichten der Waldtiere. Sie war die Hüterin des Waldes, die dafür sorgte, dass das Gleichgewicht zwischen allen Lebewesen erhalten blieb.
Aber auch in diesem friedlichen Reich gab es Geheimnisse und Gefahren. Tief im Inneren des Waldes, wo das Licht der Sonne nur selten hinkam, gab es Kreaturen, die nicht so freundlich waren wie diejenigen, die Johanna kannte. Sie hörte ihre fernen Rufe in der Nacht und wusste, dass sie ihr Reich und ihre geliebten Tiere vor diesen Gefahren schützen musste.
Eines Tages, als die Sonne gerade aufging und der Wald in ein sanftes goldenes Licht getaucht war, erreichten ungewohnte Geräusche Johannas Ohren. Es waren die Schritte eines Menschen. Ein Fremder war in den Wald gekommen. Trotz ihrer anfänglichen Skepsis fühlte Johanna eine seltsame Neugierde. Wer war dieser Fremde und was suchte er in ihrem Wald?
Als die Geräusche näher kamen, versteckte Johanna sich im Schatten ihres Baumhauses und beobachtete den Eindringling. Der Fremde war ein junger Mann, mit rauen Zügen und Augen, die die Farbe des Mooses auf den Bäumen hatten. Er schien vorsichtig zu sein, betrachtete mit Respekt die Größe und Schönheit des Waldes.
Tage vergingen, und Johanna beobachtete weiterhin aus der Ferne. Sie sah, wie er behutsam durch den Wald ging, wie er die Pflanzen berührte und den Tieren auswich. Er schien den Wald nicht als feindlich, sondern als ein Wunder zu betrachten. Und irgendwie, trotz ihrer anfänglichen Misstrauen, fand Johanna das tröstlich.
Dann, an einem Tag, der wie jeder andere zu sein schien, geschah etwas Unerwartetes. Der Fremde stolperte über eine verborgene Wurzel und fiel. Er versuchte aufzustehen, aber sein Bein schien verletzt zu sein. Er war gestrandet.
Dies war der Moment, den Johanna gefürchtet hatte. Sie hätte in den Schatten bleiben und ihn seinem Schicksal überlassen können. Aber sie war die Hüterin dieses Waldes, und es schien ihr falsch, ihm nicht zu helfen. Also trat sie aus dem Schatten und näherte sich ihm.
Als der Fremde Johanna sah, weiteten sich seine Augen vor Überraschung und Ehrfurcht. Sie streckte ihre Hand aus und bot ihm ihre Hilfe an. Er zögerte einen Moment, dann nahm er ihre Hand.
Nach diesem ersten Treffen nahm Johanna den Fremden, Alejandro, bei sich auf. Sie kümmerte sich um sein verletztes Bein und half ihm, sich in der Wildnis des Maiwaldes zurechtzufinden. In den darauffolgenden Wochen lebten sie zusammen, und Alejandro lernte das Leben im Wald kennen – die Weisen der Tiere, die Geheimnisse der Pflanzen und die Rhythmen des Waldes, die Johanna so liebevoll pflegte.
Alejandro war ein guter Zuhörer und zeigte Ehrfurcht vor Johannas einzigartiger Verbindung zur Natur. Sie fanden Gefallen aneinander, und es schien, als ob sie trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft eine gemeinsame Sprache fanden.
Aber dann geschah etwas, das Johannas Vertrauen in Alejandro erschütterte. Eines Tages, als sie gerade dabei war, Nahrung zu sammeln, sah sie Alejandro in der Ferne. Er stand auf, völlig ohne Anzeichen der Verletzung, die ihn wochenlang ans Bett gefesselt hatte. Er sah um sich, als ob er sicherstellen wollte, dass niemand zuschaute, und dann begann er, umherzuwandern.
Johanna fühlte sich betrogen. Sie hatte Alejandro bei sich aufgenommen, hatte sich um ihn gekümmert und ihm vertraut, und nun schien es, als ob er sie die ganze Zeit belogen hatte.
Mit schwerem Herzen kehrte sie zum Baumhaus zurück und konfrontierte Alejandro mit dem, was sie gesehen hatte. Er versuchte, sich zu erklären, aber sie hörte ihm nicht zu. Sie fühlte sich verraten und wollte, dass er sofort den Wald verließ. Alejandro sah sie mit traurigen Augen an, aber er widersprach nicht. Er packte seine Sachen und verschwand aus dem Maiwald, aus Johannas Leben.
Johanna blieb allein zurück, mit einem gebrochenen Herzen und einem Wald voller Erinnerungen. Sie hatte Alejandro geliebt, aber sie konnte das Gefühl des Verrats nicht abschütteln. Es würde Zeit brauchen, um das Vertrauen wiederherzustellen, das sie verloren hatte.
Die Wochen nach Alejandros Weggang waren hart für Johanna. Trotz ihrer Wut und Enttäuschung konnte sie ihn nicht aus ihren Gedanken verbannen. Sie vermisste seine Geschichten, sein Lachen und die Art, wie er sie ansah, als ob sie das kostbarste Wesen in der Welt wäre. Sie vermisste ihn.
So kam der Tag, an dem Johanna eine Entscheidung traf, die sie nie für möglich gehalten hätte: Sie würde den Wald verlassen, um Alejandro zu suchen. Mit einem schweren Herzen verabschiedete sie sich von den Tieren und Pflanzen, versprach ihnen, zurückzukehren, und trat ihre Reise an.
Sie hatte keine Ahnung, wo sie anfangen sollte, aber sie folgte einfach ihrem Herzen. Und dann, am Rande des Waldes, sah sie etwas, das ihr Herz höher schlagen ließ: ein kleines Lager, und dort, am Feuer, saß Alejandro.
Er sah auf, als sie sich näherte, und für einen Moment starrten sie sich nur an. Dann stand er auf und ohne ein Wort liefen sie aufeinander zu und fielen sich in die Arme. Sie weinten und lachten, und als sie sich küssten, wussten sie, dass alles, was geschehen war, nur dazu geführt hatte, dass sie sich wiederfanden.
Alejandro erklärte, dass er nie wirklich verletzt war. Er hatte nur so getan, als ob, weil er Angst hatte, den Wald zu verlassen, den er lieben gelernt hatte. Und er hatte Angst, Johanna zu verlassen, die er mehr als alles andere liebte.
Johanna verstand, und obwohl sie immer noch verletzt war, wusste sie, dass sie ihm vergeben konnte. Denn trotz aller Fehler und Misserfolge liebte sie ihn. Und sie wusste, dass sie zusammen stark genug waren, um jeden Sturm zu überstehen. Sie entschieden sich, gemeinsam in den Wald zurückzukehren, bereit, ihre Geschichte neu zu schreiben und gemeinsam ihre Zukunft zu gestalten.
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