Vor den Stadttoren von Eldoria, 1247 des Kalenders von Tempure, Herbst
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als Orion und Sagittarius nach mehreren Tagen des Reisens endlich die Ausläufer von Eldoria erreichten. Die dichten Wälder, durch die sie bisher gewandert waren, wichen langsam offenen Feldern und sanften Hügeln. Die Landschaft veränderte sich, und die Brüder konnten in der Ferne die imposanten Stadtmauern und Türme von Eldoria erkennen.
„Das muss sie sein,“ sagte Orion, seine Stimme von einer Mischung aus Erleichterung und Ehrfurcht durchdrungen. „Eldoria.“
Sagittarius nickte stumm, seine Augen auf die Stadt gerichtet, die sich vor ihnen erhob. Sie hatten noch nie eine so große Stadt gesehen. Silur, ihr kleines Dorf, war im Vergleich dazu kaum mehr als eine Handvoll Hütten.
Der Weg vor ihnen wurde breiter und belebter, als sie sich der Stadt näherten. Bauern mit voll beladenen Karren, Händler mit ihren Waren und Reisende strömten in Richtung der Stadt. Die Geräusche der geschäftigen Menge erfüllten die Luft – das Murmeln von Gesprächen, das Klirren von Hufen auf dem Pflaster und das gelegentliche Rufen von Verkäufern, die ihre Waren anpriesen.
Bald erreichten sie das Westtor von Eldoria, das von hohen Mauern flankiert und durch zwei massive Türme bewacht wurde. Eine lange Schlange von Menschen und Karren erstreckte sich vor dem Tor, und die Stadtwachen kontrollierten jeden, der eintreten wollte. Die Wachen trugen schwere Rüstungen und hielten lange Speere, ihre Gesichter ernst und aufmerksam.
„Wir werden wohl eine Weile warten müssen,“ bemerkte Sagittarius, als sie sich am Ende der Schlange einreihten.
Orion nickte und sah sich neugierig um. Die Vielfalt der Menschen und die schiere Menge an Waren beeindruckten ihn. Es gab Händler mit exotischen Gewürzen, feine Stoffe und seltsame Artefakte, die er noch nie zuvor gesehen hatte.
„Hoffentlich kommen wir bald durch,“ sagte er leise. „Ich kann es kaum erwarten, die Stadt zu sehen.“
Schritt für Schritt bewegte sich die Schlange vorwärts, und schließlich standen die Brüder vor den Stadtwachen. Ein kräftiger Mann mit einem dichten Bart und scharfen Augen trat vor und musterte sie aufmerksam.
„Was ist euer Begehr?“ fragte er, seine Stimme rau, aber nicht unfreundlich.
„Wir sind auf der Durchreise,“ antwortete Orion schnell, „und suchen nach einem Schmied, um unsere Ausrüstung reparieren zu lassen.“
Der Wachmann nickte, warf einen kurzen Blick auf ihre Waffen und Rüstungen und trat dann zur Seite. „Willkommen in Eldoria,“ sagte er und deutete ihnen, durch das Tor zu gehen. „Verhaltet euch anständig, und ihr werdet keine Probleme haben.“
Die Brüder nickten dankbar und traten durch das massive Tor in die Stadt. Hinter ihnen schloss sich das Tor wieder, und sie fanden sich in einer geschäftigen Straße wieder, die von hohen Gebäuden gesäumt war. Die Geräusche und Gerüche der Stadt überwältigten sie beinahe, und für einen Moment standen sie einfach nur da und versuchten, alles aufzunehmen.
„Das ist unglaublich,“ murmelte Sagittarius, seine Augen weit aufgerissen vor Staunen.
Orion nickte, seine eigenen Gedanken wirbelten durcheinander. „Ja, das ist es. Aber wir müssen uns orientieren und herausfinden, wo wir Thranar finden können.“
Orion und Sagittarius standen inmitten der geschäftigen Straße, umgeben von dem Trubel der Stadt. Orion zog die alte, handgezeichnete Karte von Eldric hervor und betrachtete sie skeptisch. Die Gebäude und Straßen auf der Karte schienen kaum mit dem übereinzustimmen, was sie vor sich sahen.
„Diese Karte ist nutzlos,“ murmelte Orion und rollte sie wieder zusammen. „Wir müssen uns anders zurechtfinden.“
„Vielleicht sollten wir jemanden um Hilfe bitten,“ schlug Sagittarius vor und sah sich um. „Da drüben, der Ladenbesitzer sieht freundlich aus.“
Sie gingen zu einem kleinen Laden, der von einem älteren Mann mit freundlichem Gesicht geführt wurde. Der Mann lächelte ihnen entgegen, als sie näher kamen.
„Guten Tag,“ begann Orion höflich. „Wir sind neu in der Stadt und suchen eine Taverne. Könnten Sie uns vielleicht weiterhelfen?“
Der Ladenbesitzer nickte verständnisvoll. „Natürlich, junge Herren. Ihr seid wohl nicht die ersten, die mit einer veralteten Karte herkommen.“ Er zog eine aktuelle Stadtkarte hervor und reichte sie ihnen. „Hier, das wird euch helfen. Und wenn ihr eine gute Taverne sucht, empfehle ich euch das ‚Goldene Horn‘. Es ist die beste Taverne der Stadt. Ihr werdet dort gut versorgt.“
„Vielen Dank,“ sagte Sagittarius dankbar und nahm die Karte entgegen. „Das ist sehr hilfreich.“
Mit der neuen Karte in der Hand machten sie sich auf den Weg zur empfohlenen Taverne. Die Straßen von Eldoria waren lebendig und vielfältig. Händler priesen ihre Waren an, Kinder spielten auf den Gehwegen, und überall herrschte ein geschäftiges Treiben.
Nach kurzer Zeit erreichten sie das „Goldene Horn“. Die Taverne war ein stattliches Gebäude mit einem großen Schild über der Tür, das ein goldenes Horn zeigte. Vor dem Eingang standen Pferde und Wagen, und die Geräusche von Gelächter und Gesprächen drangen aus dem Inneren.
„Das scheint der richtige Ort zu sein,“ sagte Orion und öffnete die Tür. Sie traten ein und wurden von einer warmen, einladenden Atmosphäre empfangen. Die Taverne war gut besucht, und die Gäste schienen sich zu amüsieren.
Ein freundlicher Stalljunge kam auf sie zu und bot an, sich um ihre Pferde zu kümmern. „Ich werde mich gut um eure Pferde kümmern,“ versprach er.
„Vielen Dank,“ sagte Sagittarius und gab dem Jungen ein paar Münzen. „Wir bezahlen auch für ihre Verpflegung.“
Sie gingen zur Theke, wo eine gutmütig aussehende Frau mit roten Wangen und einem breiten Lächeln stand. „Willkommen im ‚Goldenen Horn‘,“ begrüßte sie sie herzlich. „Was kann ich für euch tun?“
„Wir bräuchten ein Zimmer für die Nacht und etwas zu essen,“ sagte Orion.
„Kein Problem,“ antwortete die Wirtin. „Ich habe ein schönes Zimmer im oberen Stockwerk frei. Möchtet ihr etwas Besonderes essen?“
„Was immer die Küche empfiehlt,“ sagte Sagittarius. „Wir sind nicht wählerisch.“
Die Wirtin führte sie zu einem freien Tisch und brachte ihnen kurz darauf dampfende Teller mit Eintopf und frischem Brot. Die Brüder setzten sich und begannen hungrig zu essen. Das Essen war köstlich, und nach den langen Tagen auf der Straße war es eine willkommene Abwechslung.
„Das ist wirklich gut,“ sagte Orion zwischen zwei Bissen. „Genau das, was wir gebraucht haben.“
Nachdem sie gegessen hatten, kam die Wirtin wieder zu ihnen. „Kann ich euch sonst noch etwas bringen?“ fragte sie freundlich.
„Eigentlich ja,“ begann Orion zögernd. „Wir suchen nach einem Schmied namens Thranar. Wisst ihr zufällig, wo wir ihn finden könnten?“
Die Wirtin lächelte, doch ihre Augen verrieten eine Spur von Besorgnis. „Ach, ihr beiden, ich würde euch raten, eure Nase nicht in Dinge zu stecken, die euch nichts angehen,“ sagte sie in einem Tonfall, der zugleich freundlich und warnend war. „Das Schmiedeviertel ist groß, und ihr werdet dort sicher Hilfe für eure Ausrüstung finden.“
Sagittarius runzelte die Stirn. „Warum spricht niemand über Thranar? Was ist mit ihm passiert?“
Die Wirtin schüttelte den Kopf. „Es ist besser, wenn ihr euch einfach auf die Schmiede konzentriert, die ihr finden könnt,“ sagte sie und klopfte ihm sanft auf die Schulter. „Genießt euren Aufenthalt und seid vorsichtig.“
Die Brüder wechselten einen besorgten Blick, aber sie beschlossen, die Sache für den Moment auf sich beruhen zu lassen. Nachdem sie sich noch ein wenig mit der Wirtin unterhalten hatten, zogen sie sich in ihr Zimmer zurück. Es war ein einfaches, aber gemütliches Zimmer mit zwei Betten und einem kleinen Fenster, das auf die belebte Straße hinausblickte.
„Das war ein langer Tag,“ sagte Orion und ließ sich auf eines der Betten fallen. „Morgen sehen wir uns im Schmiedeviertel um und versuchen, mehr herauszufinden.“
Sagittarius nickte und legte sich auf das andere Bett. „Ja, das ist ein guter Plan. Wir werden herausfinden, was mit Thranar passiert ist.“
Mit diesen Gedanken schliefen die Brüder ein, erschöpft von der Reise und den vielen Eindrücken des Tages. Die Nacht war ruhig, und die Stadt Eldoria bereitete sich darauf vor, ihnen ihre Geheimnisse Stück für Stück zu enthüllen.
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