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Der fremde Hüter

Sie nannten mich Gargus, ein Name aus ihrer fremden Sprache. Für sie bedeutete er ‚Himmelssturz‘. Vor drei ihrer Generationen stürzte ich hier ab, ein Erdling auf einem fremden, exotischen Planeten, weit weg von zu Hause. Meine Verletzungen waren katastrophal, aber die altruistische Natur dieser Spezies – meiner neuen Gastgeber – rettete mir das Leben.

Jede Generation dauerte nur wenige Monate, ihre Leben flackerten wie Kerzen im Wind. Nach menschlicher Zeitrechnung brauchte ich ein Jahr, um mich zu erholen, während die Verantwortung für meine Pflege von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Ich beobachtete, wie sie sich um mich kümmerten, alt wurden und starben, ersetzt durch ihre Kinder, die die Arbeit ihrer Eltern fortsetzten. Es war eine surreale Erfahrung, als Unsterblicher durch ihre Dynastien zu leben.

Nun, da ich die Rolle ihres Familienbeschützers übernommen hatte, schauten die Kleinen zu mir auf. Xiven, Yandra und die kleine Plina versammelten sich um mich, ihre neugierigen Augen leuchteten im Sternenlicht.

„Erzähl uns die Geschichte, Gargus!“ zwitscherte Xiven. Seine leuchtende Haut pulsierte in unterschiedlichen Farben und spiegelte seine Aufregung wider.

Ich lachte leise. „Schon wieder? Werdet ihr nicht müde, sie zu hören?“

„Nein!“ piepste Plina, hüpfte auf der Stelle. Ihr sanftes Leuchten flackerte, ein Zeichen ihres zarten Alters.

Ich lehnte mich gegen den Stamm eines Luma-Baums, dessen Rinde in lebhaftem Blau schimmerte. Die kleinen rückten aufgeregt näher an mich heran. Ich begann, meine Geschichte zu erzählen, die Geschichte einer Welt, die ihrer sehr ähnlich und doch in vielerlei Hinsicht anders war. Eine Welt, in der der Himmel blau und nicht grün war, wo Kreaturen Jahre und nicht Monate lebten und wo die Spezies nur ein Paar Augen hatte, nicht drei.

„Warum bist du geblieben, Gargus?“ fragte Yandra, ihre Stimme sanft und ihre Augen aufrichtig.

Ich lächelte leicht, dachte über ihre Frage nach. „Als eure Vorfahren, Xovar und Ynara, mich fanden, war ich körperlich und seelisch gebrochen. Ich war allein und weit entfernt von zu Hause, einer Welt, die im Krieg zerstört wurde. Sie, in ihren kurzen, aber sinnvollen Leben, beschlossen, mich zu heilen und gaben mir dadurch ein neues Zuhause.“

„Du hättest gehen können, als du geheilt warst, oder?“ fragte Xiven, ein Hauch von Traurigkeit in seinen Augen.

„Ich hätte es tun können, ja“, antwortete ich, „aber zu der Zeit, als ich geheilt war, war ich ein Teil dieser Welt geworden. Ein Teil eurer Familie. Ich hatte das Gefühl, dass ich eurer Linie eine Lebensschuld schuldete, zu beschützen und zu dienen, so wie sie es für mich getan hatten.“

Sie verdauten meine Worte. Ihre Augen funkelten im Mondlicht. Ich sah sie an, diese vergänglichen Wesen, so voller Leben und Liebe. In ihrem kurzen Leben hatten sie mich, einen Fremden aus einer anderen Welt, akzeptiert und zu einem der ihren gemacht. Wie hätte ich diesen Ort je wieder verlassen können?

Ihre Sonne, eine feurige purpurne Kugel, begann am Himmel aufzusteigen. Der grüne Schimmer des Morgens war wunderschön, ganz anders als alles, was mein Heimatplanet zu bieten hatte. Sanft strich ich über die verblassten Bilder der Erde, Erinnerungen an mein früheres Leben, die noch immer nachklangen.

Mit einem tiefen Seufzer ließ ich den Schmerz des Verlustes über mich hinwegrollen. Das Heimweh, das tief in mir vergraben war, kam wieder zum Vorschein, aber es war nicht mehr so stark wie früher. Diese fremde Welt war jetzt mein Zuhause, diese Geschöpfe, meine Familie. Ich blickte in die aufgehende Sonne, akzeptierte die Wahrheit, die ich verleugnet hatte.

Das war nun meine Heimat. Ich war zu Hause.

Published inKurzgeschichten

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