Brzzt… brzzt… brzzt… Joshua bemerkte das ungeduldige Vibrieren. Er tastete nach seinem Handy, konnte es aber nicht finden. Er versuchte die Augen zu öffnen, wurde aber von einem Sonnenstrahl geblendet, der durch eine Ritze in seinen Vorhängen durchschien. Er hielt sich die Hand vor Augen und blinzelte.
„Irgendwo muss das verdammte Ding doch sein“, fluchte Joshua innerlich.
Er bemerkte seine Kopfhörer, die sich wie eine Schlange um einen seiner Arme gewickelt hatten. Er folgte ihnen und fand schließlich sein Telefon. Er wollte gerade den Wecker ausstellen, als er bemerkte, dass es gar nicht der Wecker war, sondern jemand versuchte ihn anzurufen.
„Oh shit, der Chef!“ Er räusperte sich und versuchte so wach wie möglich zu klingen. „Ja hallo?“
„Parker, endlich. Hoffe, du bist nicht noch im Pyjama. Wir müssen dringend deployen – heute, nicht nächste Woche“, kam die leicht genervte Stimme seines Chefs durch den Hörer. Er versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. „Ja klar, ich bin praktisch schon unterwegs. Wollten wir nicht erst nächste Woche das Update ausliefern?“, fragt Joshua verwirrt. „Ihr Ticket wurde heute vom Management mit höchster Priorität eingestuft, das muss heute noch dringend raus. Also bis gleich.“
Mit einem ärgerlichen Knurren schlug Joshua die Decke zurück und setzte sich auf. Seine Augen waren rot und müde von der „Nachtschicht“, die er heute geschoben hatte. Natürlich hat er nicht gearbeitet, sondern sein Lieblings-MMO gespielt. Er fühlte sich, als hätte er eine durchzechte Nacht hinter sich, obwohl er nur bis spät in die Nacht gezockt hatte.
„Warum kann ich nicht einfach noch ein bisschen länger schlafen?“ dachte er, während er sich mühsam aus dem Bett quälte. Er schaute nochmal auf sein Telefon und sah, dass er 2 Anrufe in Abwesenheit hatte. „Scheint wohl echt dringend zu sein ...“
Die schwere Luft in seinem Zimmer trug den Geruch von kaltem Kaffee und zu langer Zeit ohne Frischluft. Er schob das Fenster einen Spalt auf, und ein kühler Morgenwind trug den Duft von nassem Asphalt und frisch gebackenem Brot zu ihm hinein. Schnell stöpselte er sein Handy ans Ladekabel und lief ins Bad. „Wenn die schon so einen Stress machen, muss Katzenwäsche heute reichen.“ In dem Moment fiel es ihm wie vom Blitz getroffen ein: “Oh verdammt, ich muss meine Semesterarbeit diese Woche abgeben, sonst muss ich noch ein ganzes Semester dran hängen.“ Ein Schauer der Angst kroch seinen Rücken hinauf. Die Last der Verpflichtungen drückte schwer auf ihn und seine Motivation war ein kaum flackerndes Licht. Er wollte sich eigentlich nur an den Rechner setzen und weiter spielen, aber die Miete musste ja auch irgendwie bezahlt werden. Darum kam er auch bei seinem Studium nur stockend voran. Es drehte sich alles in seinem Kopf. „So ein verdammter Teufelskreis!“
Er machte sich schnell im Bad frisch, zog sich Socken und Jeans über und griff nach einem T-Shirt von einem Haufen Wäsche und schnüffelte kurz dran. „Wird wohl heute noch gehen …“ Schnell schnappte er sich sein Handy und seine Laptoptasche und schlüpfte in seine Sneaker.
In Gedanken versunken machte er sich auf den Weg zur Arbeit. Auf dem weg holte er sich einen Kaffee und einen kleinen Snack. „Ich sollte mir den Kaffee am Morgen dringend abgewöhnen. Ich kann mir die Preise bald nicht mehr leisten.“ Er stieg in die nächste Bahn Richtung Zentrum und kam 15 Minuten später an seinem Ziel an. „Na dann mal rein in die Höhle der Löwen“, dachte er und betrat das Foyer seiner Arbeitsstelle.
„Hallo Denise“, grüßte er die junge, blonde Rezeptionistin, die ihn aber kaum eines Blickes würdigte. „War ja klar“, dachte er, „dem Werksstudent braucht man kein ‚Hallo‘ erwidern, wenn man mit jemand aus der Chef-Etage flirten kann“. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, überflog die aktuellen Ereignisse und widmete sich seinem Ticket. Während er den Code tippte, dachte er immer wieder an seine Semesterarbeit. „Ich muss die nächste Tage durchmachen, sonst wird das nichts. Max-Level grinden wird wohl die nächsten Tage ausfallen“. Nach ein paar Stunden hatte er seinen Task ins Code Review geschoben und gehofft, dass sein Kollege nicht all zu viele Anmerkungen hatte.
Beim Programmieren war er in seinem Element und verlor schnell jegliches Zeitgefühl.
Plötzlich drang die sanfte Stimme von Emma an sein Ohr: „Hey Joshi, es ist schon Mittag. Hast du Lust mit in die Kantine zu kommen?“ Joshuas Herz begann schneller zu schlagen, als er Emma neben sich stehen sah. Sie war die einzige im Büro, die ihn mit seinem Spitznamen statt mit seinem Nachnamen ansprach. Jedes Mal, wenn er sie sah, spürte er, wie sein Herz schneller schlug und seine Wangen sich mit Wärme füllten. Doch die Worte, sie um ein Date zu bitten, verfingen sich jedes Mal in seiner Kehle. Jetzt fragte sie ihn, ob er mit ihr zum Mittagessen gehen wollte. Verlegen stammelte: „Ähm, ja gerne“.
Sie gingen zusammen in die Kantine und setzen sich an einen der freien Tische. Viel war noch nicht los, also bestellten sie direkt ihr Essen. Die Geräusche des Geschirrklapperns und Stimmen der anderen Gäste verschwanden für Joshua im Hintergrund, als er Emma aufmerksam zuhörte. Sie unterhielten sich über ihre Arbeit und Hobbys.
„Also ich habe mir dein Ticket angesehen, das heute zum Blocker priorisiert wurde. Ich muss sagen, ich bin beeindruckt. Du hast das Problem wirklich gut analysiert und behoben. Ich habe mir dein Code Review angeschaut und keine Anmerkungen gefunden.“, sagte sie mit einem Lächeln, dass auch in ihren Augen zu erkennen war. Sie meinte es ehrlich. „Danke, das freut mich zu hören. Ich bin zwar noch vom Raid heute Nacht etwas müde, aber ich hab versucht so schnell und gründlich wie möglich das Problem zu lösen.“ „Du bist wirklich ein begabter Programmierer, Joshi. Ich bin sicher, dass du in unserem Team eine große Bereicherung bist. In welchem Raid warst du denn?„ Begeisterung machte sich in ihm breit und er verlor ein wenig von seiner Müdigkeit. „Vault of the Incarnates. Hab mir extra für das neue Add-On einen neuen Char angelegt.“
Emma erzählte Joshua, dass sie ebenfalls eine begeisterte Gamerin ist und sie unterhielten sich noch eine Weile über das Spiel. „Vielleicht können wir mal zusammen zocken“, bot sie ihm an. „Schreib mir später einfach mal. Meine Nummer schick ich dir später in Slack.“.
„Oh, wow, das ist ja … ähm, das ist ja großartig. Ich meine, ich würde mich wirklich freuen, von dir zu hören. Ich meine, ich habe schon immer gerne mit dir zusammengearbeitet und ich denke, wir könnten uns gut ergänzen. Ich meine, als Team, nicht … ähm, du weißt schon. Ich meine, ich würde mich wirklich freuen, von dir zu hören und deinen Char zu sehen.“ Joshua stammelte so vor sich hin und lief dabei rot an.
„Wie kann man nur so süß sein…“ , dachte Emma und schenkte ihm ein Lächeln.
Joshua ärgerte sich in Gedanken, dass er bei ihr nicht cooler rüber kommen konnte. „Junge, was laberst du da für einen Schwachsinn vor dich hin?“
„Danke, dass du mich zum Mittagessen eingeladen hast, Emma“, sagte Joshua, als sie den Weg zurück ins Büro einschlugen. „Ich habe mich wirklich amüsiert. Ich meine, es war schön, mal etwas anderes zu tun, als nur zu studieren oder zu arbeiten.“
Emma lächelte ihn an. „Ich freue mich, dass es dir gefallen hat. Ich habe mich auch wirklich wohl gefühlt. Wir sollten das bald mal wiederholen.“
Sie betraten das Bürogebäude und gingen zu ihren Schreibtischen. „Ähm, Emma?“, fragte Joshua verlegen. „Ja?“, antwortete sie und drehte sich zu ihm um.
„Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht Lust hast, heute Abend etwas zusammen zu unternehmen?“, fragte er und spielte nervös an seinen Fingern herum. „Ich meine, wir könnten ins Kino gehen oder einfach nur einen Spaziergang machen. Was immer du willst.“
Emma lächelte und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Das klingt wirklich nett, Joshi. Aber ich muss leider ablehnen. Ich habe heute Abend schon etwas anderes vor. Aber danke für das Angebot. Vielleicht ein anderes Mal?“
Joshua nickte enttäuscht. „Ja, klar. Kein Problem. Dann sehen wir uns morgen wieder.“
„Ja, bis morgen“, sagte Emma und verabschiedete sich mit einem freundlichen Lächeln.
Joshua sah Emma noch kurz nach, als sie zu ihrem Schreibtisch ging, und seufzte leise. Er hatte sich schon so oft gefragt, ob er ihr sagen sollte, dass er sie mochte. Aber er hatte Angst, dass sie ihn nur als Freund sah und er alles ruinieren würde.
Als er sich an seinen Schreibtisch setzte, bemerkte er eine E-Mail von seinem Chef, Mr. Thompson. „Joshua, komm bitte sofort in mein Büro. Es ist dringend.“
Joshua spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. „Was will der denn von mir?“, fragte er sich. Er war sich sicher, dass er irgendwas falsch gemacht hatte und Mr. Thompson ihn deshalb zu sich gerufen hatte.
Er atmete tief durch und ging zum Büro des Chefs. „Mr. Thompson – Head of User Interface Department“ stand auf der Tür. Er konnte die Silhouette seines Chefs durch die verglaste Tür hindurchsehen. Er klopfte an. „Kommen Sie rein.“
Joshua trat ein und sah Mr. Thompson hinter seinem Schreibtisch sitzen. „Setzen Sie sich“, sagte der Chef. Joshua setzte sich vorsichtig auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und versuchte, seine Nervosität zu verbergen. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er.
Mr. Thompson nickte und lächelte. „Ja, alles bestens. Ich habe Sie rufen lassen, weil ich Ihnen sagen wollte, wie zufrieden ich mit Ihrer Arbeit bin. Sie sind ein wertvoller Mitarbeiter und ich weiß, dass Sie viel Zeit für unsere Firma investieren. Sie haben sich wirklich ins Zeug gelegt und ich bin sehr zufrieden mit Ihrer Leistung.“
„Danke, Mr. Thompson. Ich gebe immer mein Bestes“, sagte Joshua und lächelte erleichtert.
„Das weiß ich, Mr. Parker“, antwortete der Chef. „Ihre Arbeit hat sich wirklich ausgezahlt und ich möchte Ihnen dafür gerne eine Belohnung anbieten. Ich habe mitbekommen, dass Sie bald eine dringende Semesterarbeit abliefern müssen. Deshalb werde ich Ihnen für eine Woche frei geben, damit Sie sich voll und ganz darauf konzentrieren können.“
Joshua war überrascht und dankbar. „Das ist wirklich nett von Ihnen, Mr. Thompson. Vielen Dank. Ich werde mich bestimmt gut auf die Arbeit konzentrieren können.“
„Ich habe vollstes Vertrauen in Sie, Mr. Parker. Geben Sie noch einmal richtig Gas und Sie sind bald durch mit Ihrem Studium“, sagte der Chef und lächelte.
Joshua bedankte sich noch einmal und verließ das Büro des Chefs voller Freude und Erleichterung. Er hatte nun genügend Zeit, sich um seine Semesterarbeit zu kümmern und war dankbar für die Unterstützung seines Chefs.
Es war Feierabend und Joshua und Emma machten sich auf den Heimweg. Vor dem Eingang des Firmengebäudes gingen sie in unterschiedliche Richtungen. Joshua sah Emma nochmal nach, verlor sie aber in der Menge aus den Augen. Also machte er sich weiter auf dem Heimweg.
Kurze Zeit später sah er einen hellen, leuchtenden Lichtpunkt, der über den Himmel schoss. Dieser Lichtpunkt stürzte direkt in Emmas Richtung und schlug vermutlich nur wenige hundert Meter von ihr entfernt ein. Plötzlich hörte er einen lauten Knall und spürte ein Beben im Boden.
Joshua stand wie erstarrt da und starrte auf den Rauch, der sich am Horizont auftat. In seinem Kopf rasten die Gedanken. Was war da gerade passiert? War Emma etwas zugestoßen?
Ohne nachzudenken, rannte er los. Er stieß Menschen beiseite, die sich ihm in den Weg stellten, und ignorierte ihre schockierten Blicke. Alles, was zählte, war Emma.
Er rannte bis zum Rand des Kraters. Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Da stand Emma, von einem unnatürlich hellen Licht umgeben.Sie sah aus, als käme sie direkt aus dem Herzen des eben eingeschlagenen Meteoriten.
Er eilte zu ihr und schloss sie in seine Arme. „Emma, alles okay?“, flüsterte er.
Sie nickte schwach und zeigt auf das Zentrum des Kraters. „Hast du sowas schonmal gesehen?“
Sein Blick folgte ihrer Geste und er entdeckte etwas, das er niemals für möglich gehalten hätte. Der Meteorit leuchtete noch immer hell und glühte, als wäre er noch immer extrem heiß. Aber das war es nicht, was ihm den Atem raubte. Es war etwas, das tief im Inneren des Meteoriten zu pulsieren schien. Etwas, das er nicht benennen konnte, aber das ihn trotzdem auf eine Art und Weise faszinierte, wie es nur wenige Dinge in seinem Leben je getan hatten.
„Das ist unglaublich“, flüsterte er. „Ich habe noch nie zuvor etwas Derartiges gesehen.“
„Ich auch nicht“, antwortete Emma mit vor Aufregung leicht zitternder Stimme. „Komm, lass uns näher rangehen.“
Sie schlichen vorsichtig näher, bis sie unmittelbar vor dem Meteoriten standen. Obwohl der Stein noch immer glühte, war es nicht heiß in seiner Nähe. Stattdessen strahlte eine seltsame Energie von ihm aus, aber sie waren beide neugierig genug, um ihre Hände danach auszustrecken und ihn aufzuheben.
„Oh wow, das fühlt sich total seltsam an“, sagte Emma, als sie den Meteoriten berührte.
„Ich weiß, was du meinst“, sagte Joshua. „Es ist, als würde eine warme Flüssigkeit in meinen Körper eindringen.“
Plötzlich begann das Leuchten um den Meteoriten herum zu verblassen und schließlich ganz zu verschwinden. Und tatsächlich, eine warme, metallische Flüssigkeit löste sich rasend schnell von dem Stein. Sie sah aus wie Quecksilber und drang in ihre Haut ein.
„Was zum Teufel ist hier los?“, brüllte Emma, als sie sah, wie der Meteorit sich in rasender Geschwindigkeit verflüssigte und in ihren Körper eindrang. „Ich habe keine Ahnung“, schrie Joshua, der ebenfalls völlig verängstigt war. Sie wollten den Stein loslassen, aber keiner von ihnen war dazu in der Lage. Und dann, plötzlich, war der Stein einfach verschwunden. Sie starrten einander an und betrachteten dann ihre Hände. Keine Spur von der metallischen Flüssigkeit war mehr zu sehen. Und dann passierte etwas, das keiner von ihnen erwartet hätte: Vor ihren Augen öffnete sich ein Fenster mit der Meldung:
INTEGRATION ABGESCHLOSSEN!
„WAS PASSIERT HIER?“, schrie Joshua. Doch bevor er noch mehr sagen konnte, lösten sich sein Körper und der von Emma innerhalb einer Sekunde auf. Die Menschen um sie herum sahen fassungslos zu, wie die beiden vor ihren Augen einfach verschwanden. Es war, als wären sie nie da gewesen.
Niemand wusste, was gerade geschehen war. Einige Leute rannten schreiend davon, während andere sich hilflos umschauten, suchend nach einer Erklärung für das Unerklärliche. Eine Stille legte sich über die Szene, während die Menschen versuchten, das Geschehene zu verarbeiten. Es war ein Tag, der für immer in ihren Erinnerungen bleiben würde.
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