Kapitel 2 - Das Erwachen

Leon starrte ungläubig auf die Worte, die vor ihm im Raum schwebten. „Glückwunsch, du hast Level 1 erreicht!“ Diese Worte schienen so greifbar, als wären sie physisch in den Raum projiziert worden. Er kniff die Augen zusammen, als könnte er das Fenster damit zum Verschwinden bringen. „Ist das ein Bug in der Matrix oder was?“, dachte er.

Bevor er jedoch die Zeit hatte, seine Gedanken zu sortieren, hörte er eine Stimme in seinem Kopf. Sie war weich, androgyn, aber leicht männlich im Klang. „Glückwunsch zum Aufstieg, Leon,“ sagte die Stimme, so klar und deutlich, als ob jemand direkt neben ihm sitzen würde.

Mit einem Ruck sprang Leon von seinem Stuhl auf, seine Handflächen schwitzend, das Herz raste. „Wer ist da? Zeig dich!“

„Keine Sorge, Leon. Ich bin nicht hier, um dir zu schaden. Tatsächlich bin ich jetzt, da du ‚erwacht‘ bist, dein Companion,“ antwortete die Stimme, dieses Mal mit einem Hauch von Humor.

„Companion? Erwacht?“ Leon schüttelte den Kopf, als ob er dadurch die surreale Situation klären könnte. Er griff nach seiner Stirn und versuchte, das alles zu verarbeiten. „Ist das so eine Isekai-Situation? Bin ich gestorben und in einer Fantasy-Welt wiedergeboren worden?“ Er blickte sich in seinem Zimmer um, erkannte seine vertrauten Poster und den Stapel Videospiele neben seinem Computer. „Aber nein, das kann nicht sein. Ich bin immer noch hier, in meinem eigenen Zimmer.“

„Seit deinem Erwachen habe ich die Aufgabe, dich auf deinem Lebensweg zu begleiten,“ erklärte die Stimme. „Du hast ein neues Level erreicht, und das nicht nur metaphorisch. Deine Realität hat sich verändert, und ich bin hier, um dir dabei zu helfen, die neuen Herausforderungen und Möglichkeiten zu meistern, die jetzt vor dir liegen.“

Das Herz hämmerte ihm bis zum Hals. Leon atmete tief durch, versuchte, seine Gedanken zu sammeln. Er hatte schon von Virtual Reality und Augmented Reality gehört, aber ohne irgendein Gerät? Dies war eine andere Ebene der Realität. „Wenn das ein Traum ist, dann möchte ich jetzt bitte aufwachen,“ murmelte er.

„Ein Traum, sagst du? Man könnte es als eine Art Erwachen betrachten. Eine neue Realität, die sich dir geöffnet hat. Aber sei versichert, dies ist so real wie deine vorherige Existenz,“ meldete sich die Stimme, nun mit einem Unterton von Ernsthaftigkeit.

Leon starrte auf den Raum vor sich, als könnte er dadurch irgendeinen Beweis finden, dass alles nur Einbildung war. Aber die Stille des Zimmers verriet nichts, und die Worte der Stimme hallten immer noch in seinen Gedanken nach. Etwas an dem, was die Stimme gesagt hatte, ließ ihn innehalten.

„Okay, sagen wir mal, ich glaube dir, dass das alles real ist,“ erwiderte Leon, seine Stimme brüchig. „Was jetzt?“

„In deinem Leben gibt es jetzt mehr Möglichkeiten und Herausforderungen als je zuvor. Du stehst am Anfang eines neuen Kapitels, eines neuen Abenteuers,“ antwortete die Stimme.

Diese Worte klangen in Leons Ohren nach, als er spürte, wie seine anfängliche Panik einer eigenartigen Form von Akzeptanz wich. Es war, als ob ein Schalter in ihm umgelegt worden wäre, der von Angst zu Neugier kippte.

„Wie soll ich dich nennen?“ fragte Leon, seine Stimme zitterte zwischen Neugier und einem Anflug von Angst.

„Ich bin die Antwort auf Fragen, die du noch nicht gestellt hast, der Schlüssel zu Türen, die du noch nicht gesehen hast,“ antwortete die Stimme kryptisch, bevor sie hinzufügte: „Aber du kannst mich Al nennen.“

„Das Abenteuer beginnt jetzt, Leon!“ Al’s Stimme klang aufgeregt, bevor er im Befehlston „Status“ hinzufügte. Ein weiteres schwebendes Fenster öffnete sich vor Leons Augen, komplex und vollgepackt mit Informationen und Abbildungen, die er zunächst kaum zu verarbeiten vermochte.

Auf der linken Seite des Fensters wurde er selbst abgebildet, lebensgroß und in der Kleidung, die er gerade trug. Die Darstellung war so detailliert, dass er sogar den kleinen Fleck auf seinem T-Shirt erkennen konnte, den er beim Mittagessen verursacht hatte.

Auf der rechten Seite waren eine Reihe von Werten und Kategorien aufgelistet:

Leon Harper (Level 1)
Rasse: Mensch
Klasse: N/A

Attribute
Stärke: 5
Konstitution: 7
Geschicklichkeit: 7
Intelligenz: 9
Weisheit: 4
Charisma: 6

Freie Attributspunkte: 3

Fähigkeiten

Programmieren: Level 4
Klavierspielen: Level 6
Multiverse Online: Level 9
Kochen: Level 2
…

Ruf

Emily Harper: Geliebt (5400/6000)
James Harper: Geliebt (5100/6000)
Sophie Harper: Geliebt (5500/6000)
Izzy: Vertraut (2250/3000)
Tom: Freundlich (800/2000)
Jenny: Freundlich (700/2000)
Frau Schmidt: Neutral (500/1000)

Leon starrte auf die aufgelisteten Informationen, seine Gedanken rasten. „Was ist das alles? Sind das meine… echten Stats? Wie ein Charakter in einem Videospiel?“

„Genau,“ antwortete die Stimme. „Dies ist deine Statusanzeige, eine Darstellung deiner Fähigkeiten, deines Rufs und deiner Attribute. Sie wird sich im Laufe der Zeit ändern und anpassen, je nachdem, wie du deine Entscheidungen triffst und deine Fähigkeiten entwickelst.“

Leon schüttelte den Kopf, unfähig, seine Gefühle in Worte zu fassen. „Das ist… unglaublich. Was mache ich jetzt?“

Die Stimme klang ermutigend. „Jetzt, Leon, hast du die Chance, dein Leben wie nie zuvor zu gestalten. Du hast freie Attributspunkte, die du verteilen kannst, und deine Entscheidungen werden direkte Auswirkungen haben. Aber das ist nur der Anfang. Bereit für das Abenteuer deines Lebens?“

Leon blickte auf die Zahlen, dann auf die Darstellung von sich selbst. Er spürte eine Mischung aus Furcht und Aufregung, aber auch eine neue Entschlossenheit.

„Ja,“ sagte er, „ich bin bereit.“

Leon betrachtete die Statusanzeige vor ihm genauer. Als er den Fokus auf die einzelnen Attribute legte, erschienen kleine Informationsfenster.

Stärke: Beeinflusst physische Kraft und Ausdauer.
Konstitution: Bestimmt Widerstandsfähigkeit und Gesundheit.
Geschicklichkeit: Einfluss auf Geschwindigkeit und Hand-Auge-Koordination.
Intelligenz: Bestimmt kognitive Fähigkeiten und Problemlösungskompetenz.
Weisheit: Beeinflusst Urteilsvermögen und emotionale Intelligenz.
Charisma: Bestimmt soziale Fähigkeiten und Einfluss auf andere.

„Das fühlt sich an wie Dungeons & Dragons,“ murmelte Leon, fasziniert von der unerwarteten Parallele. Er betrachtete seine Attribute und wog seine Optionen ab. „Sollte ich meine Fähigkeiten ausbalancieren oder mich auf meine ohnehin schon hohe Intelligenz konzentrieren? Was wäre nützlicher in dieser neuen Realität?“

Er fokussierte das Feld ‚Klasse‘ und bemerkte, dass es leer war. „Habe ich keine Klasse?“

„Du erhältst die Möglichkeit, eine Klasse auszuwählen, sobald du Level 10 erreichst,“ klärte Al ihn auf.

Leon fokussierte sein Level und sah einen Fortschrittsbalken erscheinen, der 0 von 500 XP anzeigte. „Wie sammle ich Erfahrungspunkte?“

„Durch das Abschließen von Quests,“ antwortete Al. „Du hast noch keine Quests, aber du wirst bald herausfinden, wie du sie erhalten kannst.“

Nach einem Moment der Überlegung entschied sich Leon, zwei Punkte in ‚Stärke‘ und einen in ‚Intelligenz‘ zu investieren. Kaum hatte er die Entscheidung getroffen, spürte er eine warme Energie durch seine Venen pulsieren. Seine Muskeln fühlten sich zunächst leicht angespannt an, und ein sanftes Kribbeln breitete sich in ihnen aus. Das Kribbeln intensivierte sich langsam, als ob seine Zellen auf Hochtouren arbeiteten, Proteine synthetisierend und seine Muskulatur stärkend.

Nach einigen Minuten verblasste das körperliche Kribbeln, doch eine neue Empfindung trat auf. In seinem Kopf fühlte es sich an, als würde sich ein Schleier lüften. Seine Gedanken wurden klarer, schärfer, als ob eine neue Ebene der Verständlichkeit erreicht worden wäre. Er konnte förmlich die neuronalen Verbindungen in seinem Gehirn spüren, die sich verstärkten und neu formierten.

Der Zustand, der zurückblieb, war nicht derselbe wie zuvor. Seine Muskeln fühlten sich fester an, gestärkt von innen heraus, und sein Geist war klarer und fokussierter. Es war eine fast feierliche Empfindung, eine Mischung aus Erkenntnis und physischer Transformation, die ihn mit einer neuen Art von Selbstbewusstsein erfüllte.

Eine weitere Benachrichtigung erschien: Fähigkeit [Genie] erhalten!

Neugierig fokussierte er die neue Fähigkeit und las:

Genie (passiv) Level 1
Du erhältst 10% mehr XP für das Abschließen von Quests.
Deine Fähigkeiten verbessern sich 10% schneller.

Leon spürte ein Kribbeln der Vorfreude durch seine Adern strömen, als er die Details seiner neuen Fähigkeit ‚Genie‘ las. „Das könnte ein Paradigmenwechsel sein“, dachte er, seine Gedanken sprangen von einer Möglichkeit zur nächsten wie ein Fluss, der sich durch ein neues Tal windet.

Doch bevor er sich weiter in Spekulationen verlor, wollte er seine erhöhte Stärke auf den Prüfstand stellen. Neugierig stand er auf und ging zu den Hanteln, die in einer Ecke seines Zimmers lagen. Die Gewichte waren einst ein gut gemeintes Geschenk von seinem Vater, eher als sportliche Dekoration denn als ernsthaftes Trainingsgerät gedacht. Trotzdem stellten sie immer eine physische Herausforderung dar, die ihn an seine Grenzen brachte.

Leon griff eine der Hanteln und hob sie hoch. Er war verblüfft, wie viel leichter sie sich anfühlten. Das Gewicht, das seine Muskeln früher bis an ihre Grenzen getrieben hatte, fühlte sich nun beinahe mühelos an. Er konnte spüren, wie die Muskelfasern in seinem Arm nicht mehr um Stabilität kämpften, sondern die Last mit einer neu gewonnenen Leichtigkeit trugen.

„Das ist… unglaublich,“ murmelte er, noch immer skeptisch, ob dies alles real war. Aber die Beweise waren eindeutig. Er hatte sich verändert, sowohl physisch als auch, wie es schien, auf eine tiefere, existenzielle Weise.

Schließlich setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch. „Hausaufgaben für morgen,“ dachte er und öffnete sein Mathebuch. Obwohl er die Hausaufgaben immer als lästig und wenig interessant empfunden hatte, spürte er jetzt eine ungewöhnliche Motivation. Die Gleichungen und Formeln, die ihn früher gelangweilt hatten, zogen nun seine volle Aufmerksamkeit auf sich. Er flog durch die Aufgaben, als ob eine unsichtbare Energie ihn antreiben würde. Seine erhöhte Intelligenz schien nicht nur seine kognitive Leistungsfähigkeit verbessert zu haben, sondern auch seine Einstellung zur Arbeit selbst. Es war, als ob ein innerer Schalter umgelegt worden wäre, der ihn mit einer neuartigen Begeisterung für das Lernen erfüllte.

Mathematik: Level 4 erreicht!

Er blinzelte und öffnete sofort sein Statusfenster. Neben dem Eintrag für ‚Mathe‘ leuchtete nun die Zahl ‚4‘ auf. Eine Welle der Zufriedenheit durchströmte ihn. Sein Englisch-Level war bereits auf 7, was ihn nicht überraschte. Er hatte schon immer eine Leidenschaft für Literatur und Sprachen gehabt, was sich nun in diesem unerwarteten Ranking widerspiegelte.

Gerade als er überlegte, was er als Nächstes tun sollte, hörte er ein sanftes Klopfen an der Tür. Seine Mutter trat ein und blickte ihm direkt in die Augen. „Leon, könntest du bitte den Müll raus bringen?“

In dem Moment, als die Worte seinen Raum durchschnitten, hatte er das Gefühl, als ob die Zeit selbst für einen Augenblick stillstehen würde. Die Atmosphäre in seinem Zimmer verdichtete sich kurz, fast als wolle die Realität sicherstellen, dass er die Bedeutung dieses Moments vollständig erfasste.

Quest: Bringe den Müll an die Straße
Bei Erfolg: +1 XP
Bei Ablehnung: -10 Ruf bei Emily Harper

Eine Welle der Erheiterung durchflutete ihn. Das war es also – seine allererste Quest. Einfach und doch so symbolisch. Es war eine alltägliche Aufgabe, aber mit seinem Erwachen fühlte sie sich wie der Anfang von etwas Größerem an.

Seine Mutter bemerkte sein Zögern und fragte mit einem leicht verwirrten Ausdruck: „Ist alles in Ordnung, Leon?“

„Klar, Mom, ich war nur in Gedanken. Erledige ich gleich!“, rief er, seine Stimme vibrierte vor unausgesprochener Aufregung.

Er stand auf und ging zur Tür. Als er den Müllsack aus der Küche holte, war er über die Leichtigkeit erstaunt, mit der er ihn anhob. Es war, als ob seine Arme und Hände von einer unsichtbaren Kraft unterstützt würden, die ihm diese alltägliche Aufgabe erleichterte.

Er trat hinaus in den Abend. Die Dämmerung legte einen violetten Schleier über die Welt, und die ersten Sterne begannen, am Himmel aufzublitzen. Der Wind trug den Duft von feuchter Erde und fallenden Blättern mit sich. Er trug den Müllsack zur Straße, ein Gefühl der Zufriedenheit breitete sich in ihm aus, als er ihn neben die anderen Mülltonnen stellte und die Bestätigung sofort kam.

Quest erfolgreich abgeschlossen!
+1 XP erhalten

Leon blieb für einen Moment stehen und blickte auf die Straße hinaus. Er konnte spüren, wie sein innerer Fortschrittsbalken sich ein kleines Stück füllte. Es war nur ein Hauch von Veränderung, und doch fühlte es sich an wie der Beginn einer epischen Reise. Er drehte sich um und machte sich auf den Weg zurück ins Haus, und während er ging, schien jeder Schritt im Einklang mit dem Puls des Universums zu sein.

Während er die Tür hinter sich schloss, konnte er ein breites Lächeln nicht mehr unterdrücken. „Das wird kein gewöhnliches Schuljahr,“ dachte er, sein Herz vor lauter Aufregung, Verwunderung und neu gewonnener Entschlossenheit beinahe zum Bersten gefüllt. Er spürte, wie eine unsichtbare Schwelle überschritten wurde und eine neue Welt voller unbegrenzter Möglichkeiten vor ihm lag. „Das Abenteuer hat gerade erst begonnen.“