Zum Inhalt springen

Kapitel 2 - Geheimnisse und Entschlüsse

Das Dorf Silur, einige Wochen nach Eldrics Tod, Herbst 1247 des Kalenders von Tempure

Die Tage nach Eldrics Tod vergingen wie in einem dumpfen, grauen Nebel. Orion und Sagittarius bestatteten ihren Großvater auf dem kleinen Friedhof am Rande des Dorfes, neben dem Grab ihrer Eltern. Der kühle Herbstwind trug das Rascheln der Blätter mit sich, während die Dorfbewohner still Abschied nahmen. Die Luft war erfüllt vom Duft nasser Erde und fallender Blätter, und der Himmel war mit dunklen Wolken verhangen.

Die Dorfbewohner kamen, um ihren Respekt zu erweisen, und viele teilten Erinnerungen an Eldric, den weisen Mann, der ihnen oft mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte. Orion hörte den Geschichten zu, doch seine Gedanken waren weit weg. Er erinnerte sich an die warmen Abende am Kamin, an Eldrics Lachen und die Geschichten, die er erzählt hatte. Es schmerzte ihn zu wissen, dass diese Zeiten nun für immer vorbei waren.

Die Wochen vergingen, doch das Gefühl der Leere blieb. Orion und Sagittarius versuchten, ihr Leben weiterzuführen, doch nichts war mehr wie vorher. Orion verbrachte Stunden auf den Feldern, doch seine Gedanken kehrten immer wieder zu der Nacht des Sturms zurück. Er sah die Blitze vor seinem inneren Auge, hörte das Grollen des Donners und fühlte die unaufhörliche Unruhe in sich.

Sagittarius ging weiter im Wald jagen, doch die Freude an der Jagd war verschwunden, ersetzt durch eine ständige Unruhe. Jedes Rascheln der Blätter ließ ihn zusammenzucken, und das Zwitschern der Vögel klang ihm wie ferne, traurige Lieder. Die Stille des Waldes, die ihm einst so viel Frieden gebracht hatte, schien nun von einer unsichtbaren Bedrohung erfüllt zu sein.

„Wer war dieser Nimrore?“ fragte Sagittarius eines Abends unvermittelt, während sie am Kamin saßen. Das Feuer knisterte leise, und die Flammen warfen tanzende Schatten an die Wände. „Warum nannte Großvater ihn Bruder?“

Orion sah in die Flammen, als könnte er dort eine Antwort finden. „Ich weiß es nicht,“ antwortete er leise. „Großvater hat nie von einem Bruder gesprochen. Und was wollte Nimrore von ihm?“ Die Fragen nagten an ihm, und er konnte das Bild von Eldric, wie er in Nimrores Griff starb, nicht aus seinem Kopf verbannen.

Die Fragen nagten an ihnen, doch es gab keine Antworten. Der Alltag ging weiter, doch jede Aufgabe schien sinnlos und leer. Orion und Sagittarius suchten Trost in den Geschichten, die Eldric ihnen hinterlassen hatte, doch diese Geschichten brachten ihnen nur noch mehr Fragen.

Bis zu dem Tag, als sie bei der Reinigung des Hauses eine versteckte Luke im Boden entdeckten. Es war ein regnerischer Nachmittag, und die Brüder hatten beschlossen, das Haus gründlich zu reinigen. Der Geruch von altem Holz und Staub erfüllte die Luft, und das Licht war durch die schweren Wolken draußen gedämpft.

Orion zog einen alten Teppich zur Seite und stutzte. „Sagi, sieh dir das an,“ sagte er und zeigte auf die Luke im Boden.

„Was ist das?“ fragte Sagittarius und kniete sich nieder, um die Luke genauer zu betrachten.

Orion öffnete die Luke vorsichtig, und eine steile Treppe, die in die Dunkelheit führte, kam zum Vorschein. Eine kühle, feuchte Brise wehte ihnen entgegen, und der muffige Geruch von Moder und altem Holz stieg ihnen in die Nase.

„Ich wusste nicht, dass wir einen Keller haben,“ sagte Sagittarius erstaunt.

„Ich auch nicht,“ erwiderte Orion. „Lass uns nachsehen.“

Mit Laternen bewaffnet stiegen die Brüder die Treppe hinab und fanden sich in einem kleinen, geheimen Kellerraum wieder. Die Wände waren aus groben Steinen gebaut, und das einzige Licht kam von ihren flackernden Laternen.

Die Luft war kalt und feucht, und der Raum war vollgestopft mit alten Kisten und Möbeln. In einer Ecke entdeckten sie eine Sammlung von Ausrüstungsgegenständen – Rüstungen, Waffen und alte Bücher. Orion zog vorsichtig eine alte Lederrüstung hervor. Sie war robust, aber deutlich gebraucht und mitgenommen.

„Das muss Großvaters Ausrüstung gewesen sein, als er noch ein Abenteurer war,“ sagte er ehrfürchtig, während seine Finger über das abgenutzte Leder strichen.

Sagittarius entdeckte eine weitere Rüstung, die noch stärker beschädigt war. „Und das hier… das muss Nimrores Rüstung sein,“ mutmaßte er. Die Rüstung war zerschlissen und an vielen Stellen durchlöchert, als hätte sie unzählige Kämpfe überstanden.

Die Brüder begannen, die Sachen zu durchsuchen. Sie fanden Schwerter, Dolche und andere Waffen, die alle ihre besten Tage hinter sich hatten. Jeder Gegenstand erzählte eine eigene Geschichte von Mut und Kampf, und die Brüder fühlten eine tiefe Verbindung zu ihrem Großvater, während sie die Relikte seiner Vergangenheit in den Händen hielten.

In einer Kiste fanden sie schließlich ein altes Tagebuch. Der Einband war abgenutzt, und die Seiten waren vergilbt, doch es war deutlich lesbar. Orion blätterte vorsichtig durch die ersten Seiten und erkannte sofort die Handschrift seines Großvaters.

„Das ist Großvaters Tagebuch,“ sagte er, und seine Stimme zitterte vor Aufregung und Ehrfurcht. Die Worte auf den Seiten schienen lebendig zu werden, als er sie las, und er fühlte sich, als ob er einen Schritt näher an die Antworten kam, die sie suchten.

Sie setzten sich hin und begannen, die ersten Einträge zu lesen. Das Tagebuch erzählte von Eldrics und Nimrores Reisen, ihren Kämpfen gegen das Böse und dem Schwur, den sie geleistet hatten, die Schlüssel zum Portal niemals zusammenzusetzen.

„Sie waren wirklich Brüder,“ sagte Sagittarius leise. „Und sie kämpften zusammen gegen das Böse. Aber warum hat Großvater uns das nie erzählt?“ Die Worte auf den Seiten brachten mehr Fragen als Antworten, und die Brüder spürten die Schwere der Verantwortung, die auf ihnen lastete.

Orion blätterte weiter durch das Tagebuch. Am Ende fanden sie einen Eintrag, der von Eldrics Schuldgefühlen und der Verbannung seines Bruders sprach. „Er hat Nimrore verbannt, um die Schlüssel zu schützen,“ sagte Orion. „Aber das Böse hat Nimrore befallen und ihn verändert.“

Als sie das Tagebuch zuklappten, fiel ein Zettel heraus. Er war nicht so alt wie die anderen Seiten und mit einer wütenden Handschrift geschrieben. Die Tinte war rot wie Blut, und der Zettel hatte ein Loch oben, als wäre er mit einem Messer an eine Tür geheftet gewesen.

„Die Zeit ist gekommen, triff mich am Portal,“ las Orion laut vor. „Das muss für Großvater gewesen sein,“ fügte er hinzu, während er den Zettel betrachtete.

Die Brüder sahen sich an, und ein neuer Entschluss formte sich in ihren Herzen. „Wir müssen herausfinden, was wirklich geschehen ist,“ sagte Orion. „Und wir müssen herausfinden, was Nimrore will.“

Sagittarius nickte. „Ja, und wir müssen Großvaters Ausrüstung reparieren lassen. Wir sind nicht bereit für das, was vor uns liegt, aber wir werden es sein.“

Mit einem letzten Blick auf das Tagebuch und die Ausrüstung machten sich Orion und Sagittarius daran, alles Notwendige vorzubereiten. Sie wussten, dass ihr erstes Ziel etwa 50 Meilen südöstlich in der nächsten Stadt lag, wo sie die Rüstungen und Waffen reparieren lassen wollten.

Der Weg vor ihnen war ungewiss und gefährlich, doch sie wussten, dass sie es ihrem Großvater schuldig waren, die Wahrheit herauszufinden und seinen Schwur zu ehren.

Published inSchwurbrecher

Sei der Erste der einen Kommentar abgibt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert