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Prolog – Der Schwur

Das Versteckte Tal, im Jahr 1193 des Kalenders von Tempure, Winter

Die Nacht war dunkel und voller Schatten, als die beiden Brüder durch den zerstörten Tempel stapften. Das versteckte Tal, umgeben von steilen, schneebedeckten Bergen, war ein Ort von uralter Magie und Geheimnissen. Der Mond schien kaum durch die dichten Wolken, die den Himmel bedeckten, und das fahle Licht spiegelte sich auf dem eisigen Boden. Der Wind heulte durch die zerbrochenen Säulen des Tempels, dessen Wände mit verwitterten Reliefs längst vergessener Helden bedeckt waren, und brachte das Echo vergangener Schrecken mit sich. Die Luft war kalt und schneidend, gefüllt mit dem Duft von feuchtem Moos und verrottetem Holz, Überbleibsel eines längst vergangenen Zeitalters.

Der Ältere hielt den schwer verletzten Jüngeren in seinen Armen, Blut tropfte auf den kalten Steinboden. Jeder Schritt war mühsam, und das Gewicht seines Bruders lastete schwer auf seinen Schultern. Sein Herz schlug heftig, nicht nur vor Anstrengung, sondern auch vor Angst und Verzweiflung. Er konnte das Röcheln und die schwachen Atemzüge seines Bruders hören, die ihm wie scharfe Dolche ins Herz stachen. Die Wunde des Jüngeren blutete stark, und der Ältere wusste, dass sie keine Zeit zu verlieren hatten.

„Halt durch, Bruder“, flüsterte der Ältere, seine Stimme rau vor Erschöpfung und Sorge. Seine Augen brannten vor Tränen, doch er hielt sie zurück. „Wir haben es geschafft, aber ich spüre immer noch die Dunkelheit um uns.“

Der Jüngere atmete schwer, seine Augen flackerten vor Schmerz. „Wir… wir haben es geschafft, oder? Das Böse… ist es wirklich besiegt?“

Der Ältere fühlte, wie die Verzweiflung an ihm nagte. Er wollte seinem Bruder Hoffnung geben, aber das Gefühl der Unruhe ließ ihn nicht los. „Ja, wir haben ihn besiegt,“ sagte er, doch die Zweifel in seinem Herzen waren nicht zu überhören. „Aber irgendetwas fühlt sich falsch an.“

Während der Ältere den Jüngeren stützte, schossen ihm unzählige Gedanken durch den Kopf. War der Kampf wirklich vorbei? Hatten sie tatsächlich das Böse besiegt, oder war dies nur eine trügerische Ruhe vor dem Sturm? Er blickte auf das bleiche Gesicht seines Bruders und verspürte einen stechenden Schmerz in der Brust. „Du hast immer einen klaren Kopf, selbst in den schlimmsten Momenten“, murmelte der Jüngere. „Ich… ich weiß nicht, wie du es schaffst.“

„Es ist nicht leicht“, antwortete der Ältere, seine Stimme brüchig. „Ich tue nur, was nötig ist. Für dich. Für uns.“ Seine Gedanken wanderten zu den zahlreichen Kämpfen, die sie gemeinsam bestritten hatten. Jeder Schlag, jeder Schrei und jede Wunde waren ihm ins Gedächtnis eingebrannt.

Die Erinnerung an den Kampf war noch frisch in ihren Gedanken. Der Ältere sah wieder die flammenden Augen des Dunklen Herrschers, hörte das unheimliche Lachen, das die Luft zerschnitt und sein Herz mit Furcht erfüllte. Die Schlacht war ein Wirbel aus Schreien, Klingen und magischem Feuer gewesen. Er erinnerte sich an den Moment, als der Jüngere sich mutig in den Kampf stürzte, ohne Rücksicht auf seine eigene Sicherheit, um den entscheidenden Schlag gegen das Böse zu führen.

„Du hast so tapfer gekämpft“, sagte der Ältere leise, seine Stimme zitterte vor Emotion. „Du hast uns beide gerettet.“

Der Jüngere lachte schwach, ein bitteres, erschöpftes Geräusch. „Aber zu welchem Preis? Ich fühle mich, als ob etwas in mir zerbrochen wäre.“ Er zitterte leicht und griff sich unbewusst an die Seite, wo die Wunde klaffte.

Der Ältere erstarrte, als er die Worte seines Bruders hörte. „Was meinst du?“ fragte er, eine Welle von Panik überrollte ihn.

„Ich weiß es nicht“, flüsterte der Jüngere. „Es ist, als ob… als ob etwas Dunkles in mir wächst.“

Ein kalter Schauder lief dem Älteren über den Rücken. Konnte es sein, dass das Böse nicht völlig besiegt war? Hatte es einen Weg gefunden, um in seinem Bruder weiterzuleben? Er spürte, wie sein Herz schneller schlug, während seine Gedanken um die Möglichkeit kreisten, dass der Dunkle Herrscher noch immer einen Einfluss hatte.

„Wir werden einen Weg finden, das zu bekämpfen“, sagte er entschlossen, obwohl er sich selbst nicht sicher war, wie. „Ich lasse dich nicht im Stich.“

Der Jüngere nickte schwach, seine Augen voller Vertrauen und Verzweiflung. „Ich weiß. Du hast mich noch nie im Stich gelassen.“

Der Ältere zog seinen Bruder enger an sich, spürte die Erschöpfung in seinen eigenen Gliedern. „Wir müssen weiter“, sagte er leise. „Wir dürfen hier nicht bleiben.“

Schritt für Schritt bewegten sich die Brüder durch den dunklen Tempel. Jeder Schritt hallte in der stillen, verlassenen Struktur wider. Der Jüngere stützte sich schwer auf den Älteren, seine Kräfte schwanden mit jedem Atemzug. Die Wände waren bedeckt mit uralten Symbolen, die Geschichten von längst vergessenen Zeiten erzählten.

„Wo… wo gehen wir hin?“, fragte der Jüngere schwach.

„Zur geheimen Kammer“, antwortete der Ältere. „Dort können wir die Schlüssel zusammenfügen.“

Sie erreichten schließlich eine massive Steinplatte, die den Eingang zur Kammer verbarg. Der Ältere murmelte leise Worte in einer alten Sprache, und langsam öffnete sich die Platte, enthüllte eine Treppe, die tief ins Innere des Tempels führte. Mit Mühe half der Ältere seinem Bruder hinab, bis sie in einer großen, spärlich beleuchteten Kammer ankamen.

Die Kammer war von einer unheimlichen Atmosphäre erfüllt, die Wände waren mit leuchtenden Runen bedeckt, die ein schwaches, pulsierendes Licht ausstrahlten. In der Mitte der Kammer stand ein mächtiges Steinpodest, das von seltsamen Symbolen und Vertiefungen bedeckt war. Die Brüder kannten dieses Podest aus alten Legenden – es war der Ort, an dem die Schlüssel zusammengefügt werden konnten, um das Portal zu öffnen.

Der Ältere half seinem Bruder, sich auf eine der steinernen Bänke zu setzen, bevor er die Schlüssel aus seiner Tasche zog. Jeder Schlüssel war einzigartig geformt, kein echter Schlüssel, sondern komplexe Artefakte, die perfekt in die Vertiefungen des Podests passten. Mit vorsichtigen Bewegungen platzierte er jeden Schlüssel in die vorgesehenen Vertiefungen. Die Schlüssel waren aus einem geheimnisvollen Metall gefertigt, das im Licht der Runen glitzerte und komplexe Gravuren und Symbole aufwies.

Der Jüngere beobachtete ihn, seine Augen vor Erschöpfung halb geschlossen. „Es ist fast vollbracht“, flüsterte er.

Der Ältere nickte, aber sein Gefühl der Unruhe wuchs. „Etwas stimmt nicht“, sagte er, während er den letzten Schlüssel in die Vertiefung setzte. „Ich kann es spüren. Wir müssen sicherstellen, dass das Böse niemals Zutritt zu diesem Portal erhält.“

„Wir haben geschworen“, erinnerte ihn der Jüngere. „Wir werden alles tun, um das zu verhindern.“

Der Ältere blickte zu seinem Bruder, das Gewicht der Verantwortung lastete schwer auf ihm. „Ich weiß. Aber es fühlt sich an, als ob wir noch nicht alles überstanden haben. Es ist, als ob das Böse immer noch hier ist.“

Der Jüngere schluckte schwer, seine Hand griff unbewusst nach der Wunde in seiner Seite. „Was meinst du?“

„Ich bin mir nicht sicher“, antwortete der Ältere, seine Stimme fest, aber voller Zweifel. „Aber ich werde einen Weg finden, um sicherzustellen, dass das Portal sicher bleibt.“

Der Ältere platzierte den letzten Schlüssel in die Vertiefung, und für einen Moment schien die Kammer still zu sein. Doch das ungute Gefühl in seinem Magen wollte nicht verschwinden. Er wandte sich zu seinem Bruder, der auf der steinernen Bank saß, blass und erschöpft.

„Bruder, ich mache mir Sorgen um dich,“ sagte der Ältere leise, seine Stimme voller Besorgnis. Er kniete sich vor seinen Bruder und nahm ihn sanft in die Arme. Plötzlich bemerkte er ein schwaches, rotes Leuchten in den Augen des Jüngeren. Er erstarrte. „Was ist das?“

Der Jüngere schloss kurz die Augen, Tränen bildeten sich in den Winkeln. „Ich weiß, was passiert ist,“ flüsterte er. „Das Böse… es hat einen Teil von sich in mir zurückgelassen.“

Der Ältere fühlte, wie sich Panik in seinem Herzen ausbreitete. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. „Nein, das darf nicht sein!“ Seine Stimme zitterte, während er die Schultern seines Bruders fest umklammerte.

„Es gibt nur einen Ausweg,“ sagte der Jüngere, seine Stimme brüchig vor Verzweiflung. „Du musst schwören, dass du alles tun wirst, damit die Welt sicher bleibt.“

„Was meinst du?“ fragte der Ältere, obwohl er die Antwort bereits ahnte. Der Gedanke, seinen Bruder zu verlieren, war unerträglich.

„Ich kann dir diese Last nicht auferlegen,“ antwortete der Jüngere mit tränenerstickter Stimme. „Wenn du mich tötest, könnte das Böse auf dich übergehen. Du musst mich verbannen, an einen Ort, von dem ich nie zurückkehren kann. Auf die Insel… die Kal’Varak.“

Der Ältere zögerte, Tränen liefen ihm über das Gesicht. „Das kann ich nicht tun. Du bist mein Bruder.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, gebrochen vor Schmerz und Hilflosigkeit.

„Du musst,“ flehte der Jüngere, Tränen liefen nun auch über sein Gesicht. „Ich verliere die Kontrolle. Bald werde ich nicht mehr ich selbst sein. Bitte, Bruder, tu es für mich, tu es für die Welt.“

Der Ältere spürte, wie die Verzweiflung ihn überwältigte. Die Worte seines Bruders schnitten tief in sein Herz. Er wollte seinen Bruder nicht aufgeben, nicht nach allem, was sie durchgemacht hatten. „Ich kann das nicht tun,“ sagte er mit erstickter Stimme. „Es muss einen anderen Weg geben.“

Der Jüngere schüttelte schwach den Kopf, sein Atem ging stoßweise. „Es gibt keinen anderen Weg. Du weißt das. Wenn das Böse in mir wächst, wird es alles zerstören, wofür wir gekämpft haben. Du musst stark sein, für uns beide.“

Der Ältere sah die Tränen in den Augen seines Bruders, das rote Leuchten, das immer intensiver wurde. Er wusste, dass sein Bruder recht hatte, doch die Entscheidung lastete schwer auf ihm. „Ich… ich weiß nicht, ob ich das kann,“ flüsterte er, seine Stimme brach unter der Last der Emotionen.

„Du musst,“ wiederholte der Jüngere, seine Stimme flehend. „Bitte, Bruder. Ich will nicht zum Werkzeug des Bösen werden. Ich will nicht, dass du wegen mir leidest.“ Seine Stimme war voller Verzweiflung und Schmerz, seine Augen flehten um Erlösung.

Der Ältere kämpfte mit seinen Gefühlen, seine Hände zitterten. Schließlich nickte er langsam. „Ich werde es tun,“ sagte er. „Ich schwöre, dass ich alles tun werde, um die Welt zu schützen.“ Seine Worte waren ein Versprechen, das ihm das Herz brach.

„Danke,“ flüsterte der Jüngere, und eine letzte Träne rollte über seine Wange. „Ich werde dich nie vergessen, Bruder.“

Der Ältere umarmte seinen Bruder ein letztes Mal, seine Tränen flossen ungehindert. „Ich dich auch nicht,“ sagte er leise. „Leb wohl.“ Seine Stimme war voller Liebe und unendlichem Schmerz.

Mit schwerem Herzen und zittrigen Händen begann er den uralten Bannspruch. Ein magisches Leuchten erfüllte die Kammer, während der Jüngere langsam verschwand, verbannt zu Kal’Varak, der verbotenen Insel zwischen den Kontinenten. Der Ältere sank auf die Knie, erschöpft und gebrochen, das Gewicht seines Schwurs lastete schwer auf seinen Schultern.

Die Kammer war wieder still, nur das leise Echo der magischen Worte hallte noch nach. Der Ältere blieb lange dort knien, sein Herz schwer vor Trauer und Schuld. Er hatte seinen Bruder verloren, aber er wusste, dass er das Richtige getan hatte. Jetzt lag die Verantwortung auf ihm, die Welt zu schützen und das Böse für immer zu bannen.

Published inSchwurbrecher

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